texte
Stimm.punkt, Freiburg / 25. September 2016
Ausschnitte aus der Rede von Stephan Orths ©
Was haben die Bilder – was hat das Werk – mit der Persönlichkeit der Künstlerin zu tun? Woher gewinnt Sie Ihre Intuition was ist der individuelle Fundus – Ihr kreatives Archiv?Lydia Leigh Clarke fühlt sich in Ihrem Stil der art informel verwandt, die ihre Ursprünge im Paris der 1940er und 1950er Jahre hat. Informel wird als Sammelbegriff für diejenigen Kunstausprägungen verwendet, die sich „auf die nicht-geometrische Traditionslinie abstrakter Malerei“ gründet. Zu ihren Merkmalen zählen die Formlosigkeit und die Spontaneität in der künstlerischen Produktion. Farbe und andere bildnerische Materialien werden autonom eingesetzt. Der Arbeitsprozess unterliegt keinen starren Regeln, er folgt, wie im Surrealismus, Prozessen des Unbewussten.
Was startet den Künstlerischen Prozess des Malens? Bei Lydia Leigh Clarke ist es das Bedürfnis nach einer Farbe, das sie dazu einlädt in eine andere Welt einzutauchen und dort weitere Farben und Formen zu finden und künstlerisch zu erfassen. Auch ein Gegenstand – und sei es eine Gieskanne- oder ein Wortzeile können den Impuls auslösen, sich wie in eine Meditation auch auf den künstlerischen Dialog einzulassen.
Um dann hinter die äußere Hülle vorzudringen. Das Ding von seiner äußeren Gestalt zu lösen und seine innere Bewegung zu erforschen, nennt die Künstlerin das. So reift im Schaffensprozess das Bild wie eine Persönlichkeit heran, es gesellt sich unter Umständen ein Name – ein innerer Titel – hinzu. Bis die Bild-Persönlichkeit irgendwann „fertig“ ist und dann – und erst dann – auch abgegeben werden kann.
Malerei bedeutet, viel allein zu sein. Lydia Leigh Clarke spricht heute von ihren drei Leben. Das erste Leben war jenes in Los Angeles. Lydia ist Amerikanerin und ist in Californien aufgewachsen. Wenn ich sie heute frage, was hat Dich und Deine Arbeit geprägt, dann kommen sofort Erinnerungen an dieses erste Leben zur Sprache.
Die Eltern beide Künstler, Musiker und auch einige der 5 älteren Geschwister bereits mit jungen Jahren auf einer musikalischen Laufbahn. Jeder für sich. Jede/r mit sich selber beschäftigt. Ideale Eltern für das Ausprobieren einer künstlerischen Arbeit und das Einschlagen einer künstlerischen Laufbahn., erinnert sie sich. Kein Druck, vielmehr ein durchgängiges Ermutigen: „ Mach mal! Du kannst das!“ Sie merkte früh, dass Musik nicht ihre Art sein würde, sich auszudrücken. Später wandte sie sich dann – aus heutiger Sicht erfreulicher weise – der bildenden Kunst zu. Sie studierte an der California State University in Northridge Bachelor of Arts, Speech Communication.
Das Elternhaus lag in einer kleinen Stadt in den Bergen oberhalb von Los Angeles, in der Lydia als Mädchen ihre innige Verbindung zur Natur entwickelt. Dort in der Natur füllt sie ihr reichhaltiges Intuitions-Archiv – dort sieht Lydia Leigh Clarke ihre tiefen Wurzeln.
Exkurs Intuition: Der US-amerikanische Arztes und Psychiater Eric Berne definierte Intuition in den 80zigern des letzten Jahrhunderts wie folgt: »Eine Intuition ist Wissen, das auf Erfahrung beruht und durch direkten Kontakt mit dem Wahrgenommenen erworben wird, ohne dass der intuitiv Wahrnehmende sich oder anderen genau erklären kann, wie er zu der Schlussfolgerung gekommen ist.«
Der Schweizer Psychologe C. G. Jung hat die Intuition sehr treffend als eine grundlegende menschliche Funktion bezeichnet, die das Unbekannte erforscht und Möglichkeiten ahnt, die noch nicht sichtbar sind. Es handelt sich um eine kognitive Funktion, ein psychisches Organ, das die Wahrheit in ihrer Gesamtheit greifen kann. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Vorgehensweise kommt die Intuition nicht vom Teil zum Ganzen, sondern erfasst direkt das Ganze.
Dann beginnt das zweite Leben: mit dem Umzug nach Deutschland – vor 33 Jahren. Sie studiert Theologie in Stuttgart- wohl auch um in Deutschland anzukommen und wechselt dann nach Freiburg in die Malschule von Paul Pollock, wo sie 4 Jahre in die Lehre geht. Auch der Tatsache, dass sie dort 4 Jahre nur mit Aquarellfarben malen musste, haben wir wohl heute die kraftvollen Farben und die starken Bilder zu verdanken.
Und dann ereilt sie – vor ca fünf Jahren- ihr drittes Leben. Und stellt die ewig neue Frage: Was willst Du wirklich? Wie weiter? Sie begibt sich auf eine ehrliche Suche – nach sich selbst und nach ihren Wurzeln.
Sie entwickelt ihre ganz eigene Farbpalette aus einer Bienenwachslasur, die sie mit Farbpigmenten mischt. Und sie wählt rauhere Leinen-Untergründe, auf denen sie zwischen die Farbschichten Papierlagen oder auch Sand einarbeitet. Der Untergrund soll oben fühlbar werden. Die Bilder bekommen einen haptischen Charakter. Die tiefgründigen Farbflächen brechen teilweise auf, bekommen lebendige Textur. Starke Kontraste bestimmen ihre meist großformatigen Bilder– Natur-Kontraste im „Darauf-Schauen“ und innere Kontraste beim Hineinspüren – nie banal – immer entstehend aus der Interaktion.
„Die Natur liefert das Grundmaterial, aus dem das Werk geschaffen wird – die Natur ist auch die Grund-Befindlichkeit jedes Menschen. Paul Klee hat dies einmal in knapper Form ausgesprochen: Die Zwiesprache mit der Natur bleibt für den Künstler conditio sine qua non. Der Künstler ist Mensch, selber Natur und ein Stück Natur im Raum Natur.
So können wir die spannungsvolle Interaktionen , die auf den Bildern von LLC fesseln auch als Zwiegespräche begreifen oder soll man besser sagen Dialoge. Dialoge im Sinne von durchströmender Bedeutung. Dialoge zwischen den oft mächtig angelegten Flächen. Von Fläche zu Form – von Form zu Farbe – von Fläche zu den vereinzelten Linienzügen.
Die teils großen Farbflächen ihrer Bilder erscheinen belebt – um nicht zu sagen beredt. Sie kommunizieren—untereinander und in ihrem beziehungsvollen Wechselwirkung auch mit uns als Betrachtenden. Sie laden uns ein, in den Dialog einzusteigen.
Sie laden uns ein, einen persönlichen Bezug herzustellen. Und nochmals Paul Klee: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.
Kunst in der Villa, Waldshut / 19. Oktober 2014
Ausschnitte aus der Rede von Adelheid Pohl ©
move on through the seasons
from light to dark and back again
and smell the plowed earth
Diese Zeilen binden die Landschaft in den Kreislauf der Natur, die zyklische Abfolge von Jahreszeiten und regelmäßige Wiederkehr von Licht und Dunkelheit. Sie fordern dazu auf, sich mit allen Sinnen auf ihn einzulassen und versprechen so beglückende Erfahrungen wie den Geruch frisch gepflügter Erde. Das „danach“ des Titels dagegen thematisiert diesen Lauf der Natur als Abfolge von Zeiteinheiten. So beinhaltet das als Zukünftiges imaginierte Danach auch immer eine Rückblende auf das Davor als Vergangenes. Damit eröffnet der Titel „danach“ einen Raum der Erinnerung und der Reflexion, der neue Wahrnehmungsmuster und Erfahrungsmöglichkeiten auslöst. Nun, in dieser Ausstellung geht es nicht um Gedichte, sondern um Bilder. Und doch enthält für mich dieses Gedicht, dessen letzte Verse ich eben kommentiert habe, den Schlüssel zu Clarkes bildnerischem Werk. Viel spricht für diese Interpretation: Bildtitel wie z. B. „chaos and growth“, „desert landscape“, „two objects connected by a shadow“ oder „im traum“, aber auch „a thought“ und „triangle“. Dann die Farben der Bilder, die Vielzahl erdiger Töne, rostiges Rot und herbstlich blasses Oliv neben frühlingshaftem Grün oder wässriges Blau in Kontrast zu strahlendem Kobalt. Und nicht zuletzt spricht auch die von Lydia Clarke angewandte ungewöhnliche Maltechnik der Bienenwachslasur auf Leinen dafür.
Als ich Lydia Clarke in ihrem Atelier besuchte, fiel mein Blick auf das vorderste von mehreren hintereinander gestapelten Bildern. Es schien aus dem bunt gesprenkelten grauen Filzbelag, der den Holzboden bedeckte, zu wachsen. Von der unteren Bildkante recken sich drei stelenartige Gebilde in samtiges, etwas verblichenes, fleckiges Oliv. Und wenn Sie genau hinschauen, entdecken Sie sogar feine schwärzliche Haarrisse, die sich in der moosigen Fläche spinnwebartig vernetzen. Diese Fläche endet in der oberen Bildhälfte und markiert eine Art Horizont, über dem sich lichtes Graublau wölbt. Dieses wiederum sympathisiert mit dem Grundton der Stelen, einem steinernen Grau mit pastelligen Varianten, die ins Stahlblaue, Altrosa und leicht Cremige changieren. Dabei fällt vor allem die mittlere Stele auf, wo eine aufwärts strebende weiße ringförmige Fläche wie ein geheimes Zeichen Rätsel aufgibt. Diese Fläche korrespondiert mit einem leicht gelbstichigen konzentrischen Halbkreis am oberen Bildrand, der sich aus luftiger Höhe herabzusenken scheint. Dadurch baut sich zwischen beiden eine Spannung auf, die sich auf die gesamte Bildfläche ausdehnt und auch den Betrachter infiziert. Und ich sage Ihnen, die Spannung wächst, je länger Sie das Bild betrachten, denn fast unbewusst wird sich bei Ihnen eine Vorstellung von einem erwartungsgemäßen weiteren Verlauf der nur angedeuteten Bildbewegung verfestigen. Damit intendieren Sie einen zeitlichen Vorgang, den Bilder zwar nicht darstellen, aber wie auf diesem Bild suggerieren können. Und so sieht sich der Betrachter hier mit einem Problem konfrontiert, mit der spannenden Frage nach dem „danach“. „Dolmen“ (Altarsteine der Megalithkultur, ) betitelt Lydia Clarke das 70 x 80 cm große Bild. Es ist der gelungene Versuch, das „danach“ als neuzeitliche Imagination einer Kultstätte aus grauer Vorzeit zu inszenieren, und für mich ist dieses Bild gemalte Poesie.
Umso prosaischer erscheint Ihnen vielleicht nun der Titel „triangle“ für das Bild auf der Einladungskarte. Und so blicken Sie möglicherweise etwas skeptisch auf das verblichene, braungelbe Dreieck, das von einer ungelenken, wie von Kinderhand gezogenen dunklen Linie eingegrenzt ist, und stehen etwas ratlos vor dem massigen Schwarzblau, das sich von rechts ins Bild schiebt. Sie sehen, wie es das Dreieck touchiert, das dadurch wie ein Kegel kaum merklich zur Seite kippt, und sind möglicherweise erleichtert, als die blaue Übermacht zurückweicht, einen Rechtsschwenk in die obere Bildfläche macht und dann seitlich aus dem Bild fällt. Mir erscheint auch der leicht fransige obere Teil der hochformatigen blauen Fläche bemerkenswert, wirkt er doch mit seiner Zuspitzung wie das surreale Spiegelbild oder die geheimnisvolle Blaupause des Dreiecks im Zentrum. Daneben präsentiert sich die umgebende Bildfläche wie ein Experimentierfeld aus Farbe und Licht. Hier unterwandert strahlendes Weiß die matten Erdtöne, vermischt sich mit ihnen, überdeckt sie, hellt sie auf oder bleicht sie aus und erzeugt luzide Transparenz, eine Transparenz, welche die Fläche öffnet und einen Bildraum imaginiert. In diesem Bildraum bilden nun Linie, Fläche und Farbe, die drei Grundbestandteile der Malerei, ein virtuelles Dreieck, das sich dem Betrachter erst nach und nach erschließt. Und insofern ist dieses Bild mit dem Titel „triangle“ für mich weit mehr als gemalte Geometrie, es ist eine Hommage an die Malerei.
Was mich an diesem Bild ebenfalls fasziniert, ist das kraftvolle Blau, das in der Kombination mit erdigen Tönen einen stimulierenden Kontrast bildet. Dieses Blau ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ein traditionsreiches Kunstprodukt mit einer wechselvollen Geschichte. So bedeckt es spätgotische Madonnenmäntel mit einem mildem Kobaltblau, wandelt sich in der Renaissance zu leuchtendem Ultramarin, erblüht in der Romantik zur blauen Blume, dem Symbol metaphysischer Erkenntnis und transzendiert bei Kandinsky ins Geistige, ins Unendliche. Es firmiert in der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ für die Moderne, nennt sich in der Heidelberger Ausstellung „Farbe der Ferne“ und betört selbst heute noch als trendiges Yves-Klein-Blau den Kunstmarkt.
In diesem Zusammenhang fallen besonders zwei Bilder von Lydia Clarke auf, das 60 x 50 cm große Hochformat „filled with blue“ und eine 30 x 40 cm, fast quadratische Arbeit „a thought“. Das erste – so scheint es – erklärt sich durch den Titel selbst. Da steht ein großer brauner Bottich, die wächserne Marmorierung der Glasur weist auf Steingut oder Keramik. Er ist bis zum Rand mit blauer Farbe gefüllt und befindet sich in einem ziemlich angestaubten Raum. Er könnte die letzte Hinterlassenschaft in einer verlassenen Künstlerwerkstatt sein, ein opaker Monolith, der sich gegen die verrinnende Zeit behauptet. Die Inszenierung erinnert an die große Tradition des Stilllebens und Lydia Clarke – so meine ich – lässt sie hier auf diesem Bild in dem unergründlichen Blau einer „nature morte“ als aesthetisches Manifest wiedererstehen……
Ich erwähnte vorhin das Werk mit dem Titel „a thought“, das ebenfalls die Farbe Blau thematisiert und zwei Jahre vor dem anderen mit dem Titel „filled with blue“ entstanden ist. Es wirkt auf mich im Gegensatz zu dem eben besprochenen Bild geradezu fragil und ungemein subtil, aber auch heiter und spielerisch, ein Gedankenspiel ins Blaue eben. Wieder kombiniert Lydia Clarke Blau mit Braun auf einem neutralen, in zartem Sepia getönten Hintergrund. Dieses Mal erhebt sich dunkles erdiges Braun von der unteren Bildkante und markiert ein Feld, in das blaue Linien rautenförmige Furchen eingeschrieben haben. Das Feld selbst wird von einer weiteren blauen Linie eingerahmt und mit einem nicht gerade stabil aussehenden filigranen Gitter bekrönt. Darüber befindet sich leuchtendes Kobaltblau, das wie einer dieser wundersamen Luftballons aus Kinderträumen in den Himmel steigt. Während auf dem vorigen Bild das Braun des Bottichs das wogende, pulsierende Blau in einem weiten Bogen einzukreisen und einzudämmen versucht, ist es auf diesem Bild genau umgekehrt. Denn hier löst sich das Blau aus dem Bann der Erdenschwere des Braun und entschwebt wie „Mörikes leiser Harfenton“ als schöpferischer Gedanke in die Unendlichkeit eines geistigen Raums.
Denken Sie jetzt nicht, dass ich Ihnen einen blauen Dunst vormachen möchte, wenn ich behaupte, ein blauer Gedanke kann auch eine „erinnerung an einen roten rock“ sein. Auf dem so betitelten Bild sehen Sie ein Mädchen, es kann auch eine junge Frau sein. Ihr Körper wirkt schemenhaft, das Gelb des Oberteils verwaschen und abgeblättert wie auf alten Fresken. Damit kontrastiert das Rot des Rocks, ein Rot wie ein leuchtendes Mohnblumenfeld oder wie Trakls „rotes Laubwerk voll Guitarren“, worin „der Mädchen gelbe Haare wehen“. Und wenn Sie vor diesem Bild stehen und es genau betrachten, sehen Sie wie das Rot zur Seite schwingt und flattert, Sie hören es rascheln und säuseln und spüren vielleicht sogar den sanften Windzug auf der Haut. Und dann tauchen vor Ihrem inneren Auge Bilder auf, ähnliche oder ganz andere oder fast schon vergessene Bilder Ihrer Erinnerung. Das 60 x 50 cm große Bild „erinnerung an einen roten rock“ scheint auf den ersten Blick aus der Reihe der anderen zu tanzen. Möglicherweise entstand es aus einer persönlichen Befindlichkeit, einer spontanen Laune, einem speziellen Anlass, dennoch ist es ein besonders schönes Beispiel für Lydia Clarkes großes künstlerisches Talent, Geistiges sinnlich darzustellen, aber auch das Geistige im Sinnlichen zur Anschauung zu bringen. Und es ist dieses sinnliche Rot, „ein Rot“, – so Georg Trakl – „das traumhaft dich erschüttert“, das Lydia Clarke auf diesem Bild so meisterlich handhabt.
Galerie im Tor, Emmendingen/23. Januar 2011
Ausschnitte aus der Einführung von Dr. Friederike Zimmermann ©
…Interessanterweise gelangte Lydia Clarke Hoenninger von der (reinen) Abstraktion in ihren frühe Bildern zu einer „gewissen Gegenständlichkeit“ – normalerweise verhält es sich in der Malerei (bzw. innerhalb eines künstlerischen Entwicklungsprozesses) genau umgekehrt: Die Entwicklung vollzieht sich von der Gegenständlichkeit hin zur Abstraktion, indem das Dargestellte immer mehr reduziert und damit inhaltlich auf den Punkt gebracht wird.
…Lydia Clarke Hoenninger selbst empfand ihre Bilder jedenfalls nie als gegenständlich; vielmehr führt sie mit der Realisation dieser Gefäße, zwischen Gegenstand und Abstraktion hin und her lancierend, die Fremdheit des Wirklichen vor Augen.
Lydia Clarke Hoenningers Werke besitzen eine Art – so möchte ich es nennen – „zeitlos ferne Präsenz“. Die auf den Bildern zu sehende Objekte sind zwar erkennbar, aber doch nicht greifbar.
Vielmehr scheinen die Gefäße für etwas zu stehen.
Diese Bilder sind meiner Meinung nach von großer Mystik geprägt. Changierende Farbfelder korrespondieren mit linearen Strukturen. Bezüglich ihrer ausgewogenen Bildkomposition sowie der wohl abgestimmten Farbnuancierung lassen sie gar – und diesen Vergleich zu ziehen scheu ich mich heute nicht – hie und da Reminiszenzen an Giorgio Morandis Vasen- und Flaschenstillleben erstehen, wenngleich wir es hier mit einer wesentlich kräftigeren Farbgebung zu tun haben.
…Der hier – wie auch in den anderen Bildern dieser Ausstellung – gezeigt Gegenstand ist kein Abbild eines bestimmten Gefäßes, ihm stand kein Krug (etwas aus der Sammlung Lydia Clarke Hoenningers) Modell. Laut ihrer Aussage entstanden diese Objekte einfach, als wären sie für diese Bilder vorbestimmt indem die Künstlerin während des Malens konsequent in sich hineinhorchte.
Es handelt sich bei diesen Stillleben also keineswegs um fotopräzise Darstellungen, als vielmehr um das Ausloten der spezifischen Kräfteverhältnisse von Form und Farbe, der Beziehung vom Raum zur Fläche sowie des Lichts, das sich in den Gegenständen verfängt und damit diesen Bildern ihre so deutlich zu spürende Lebendigkeit verleiht. Kurzum, Lydia Clarke Hoenninger ist in diesen Bildern dem Wesen der Malerei an sich auf der Spur.
Dabei sind diese Stillleben alles andere als „stille Kunst“: Die erdfarbenen Tonträger sind erfüllt von unzähligen Zwischentönen; Pinselspuren graben sich zum Teil tief in die Oberfläche und offenbaren den hoch emotionalen Impetus der Malerin.
Lydia Clarke Hoenninger entstammt einer Musikerfamilie. Entsprechen ist ihr künstlerischer, malerischer Ausdruck – so meine ich – stark von der Musik geprägt. Natürlich ist in gewisser Weise jede malerische Komposition mit einer musikalischen Komposition vergleichbar. Lydia Clarke Hoenningers Art zu malen hat jedoch etwas von Musizieren. Etwa wenn sie wie Note für Note Farbakkord an Farbakkord setzt, um sich am Ende einem Stimmungsbild gegenüber zu sehen, in dem sie sich wie in einem Spiegel wiederfindet….
Die Versunkenheit in die Natur und ihre Geräusche – all dies strahlen auch ihre Werke aus…
Vor einige Jahren folgte eine Schaffenskrise, die sie letztlich auf eine völlige neue künstlerische Ebene hob. Die Malweise veränderte sich, speziell der Schaffensprozess: Nun erwuchsen ihre Bilder aus der Oberfläche heraus. Die Formate wurden größer, die Farben homogener, naturgemäßer. Es war „wie ein Zur-Ruhe-Kommen“ (Zitat). Nun ging es nicht mehr darum dem Pinsel zu gehorchen, sondern umgekehrt um das, was sie in ihrer Kunst wirklich ausdrücken wollte. Die Oberflächenstruktur bekam immer mehr Bedeutung. Mittlerweile gerät sie fast physisch und regt sehr stark den Tastsinn an. Dafür wird die Farbe Schicht für Schicht aufgetragen. Auch experimentiert die Künstlerin viel mit Stoffen (z.B. mit Bienenwachs, das sie über die Leinwand rinnen lässt, wodurch reliefartige Strukturen entstehen).
Irgendwann – vor gut einem Jahr – entstanden die ersten Gefäße – ja man kann fast sagen, Lydia Clarke Hoenningers Malerei verdichtete sich zum Gefäß. Und so hat ihre Malweise auch etwas mit dem Töpfern zu tun. Indem sie die Gefäß-Form wie aus einem Klumpen Erde aus der Oberfläche regelrecht herausholt. Nicht zuletzt dadurch entsteht jene – wie ich schon sagt – mystische Tiefe in ihren Bildern.
…..Wenn Sie später die Treppe hochgehen, … Die Künstlerin nannte es schlicht „Landschaft“. Nun mag man fragen, was eine „Landschaft“ mit Gefäßen zu tun hat – denn diese Ausstellung sollte eigentlich mit de Titel „Gefäße“ überschrieben werden, wovon man nur deshalb absah, weil man die Leute nicht glauben machen wollte, sie hätten es hier mit einer Keramik-Ausstellung zu tun.
Diese „Landschaft“ ist hier natürlich völlig richtig am Platz. Wie die anderen Werke mit den „Gefäßen“ stellt auch dieses Bild eine innere Landschaft vor, deren „Gefäß“ im Grunde die Künstlerin selbst ist. In diesem Fall wohl ein Gefäß der Sehnsucht (zum Beispiel nach dem Meer in Kalifornien, das sie sehr vermisst).
Ich denke es ist keine Überintrepretation, in dieser Symbolik Hinweise auf die jeweilige Befindlichkeit der Künstlerin zu sehen: Sie selbst ist das Gefäß.
Indem sie Gefäße darstellt, thematisiert sie die Beziehung von Ich und Welt, oder Ich und die Anderen – ein empfindsames Gebilde, das sich in jedem Bild aufs Neue formiert und definiert. Duch Ausdruck, Gesamtbild und künstlerischen Inhalt bezieht die Künstlerin ihre eigenständige Position, von der aus sie mit dem Betrachter kommuniziert….
Man mag sich verlieren in die Tiefe dieser Bilder, in die Welt der Dinge, die im wechselnden Licht des Tages und der Jahreszeiten nicht nur ihre Oberfläche, sondern auch ihr Innerstes zu verändern scheinen. Lydia Clarke Hoenninger gelang das schier Unmögliche: Ihre Bilder scheinen sich je nach Betrachtung und Standpunkt zu verändern.